Quelle: wdr.de – Sebastian Hochrainer
Tim Lobinger ist an den Folgen seiner Krebserkrankung gestorben. Mit ihm geht nicht nur ein erfolgreicher Ex-Sportler, sondern jemand, der sich vehement für seine Überzeugungen einsetzte. Auch wenn er damit aneckte.
Die deutsche Leichtathletik trauert um einen ihrer Helden. Tim Lobinger verstarb laut übereinstimmenden Medienberichten am Montag (16.02.2023) im Alter von nur 50 Jahren nach langer Krebskrankheit. „Die ehemalige Stabhochsprung-Legende ist im engen Kreise friedlich eingeschlafen, er hat den Kampf nicht verloren, sondern auf seine Weise gewonnen“, teilte seine Familie mit. Der ehemalige Leichtathlet war der erste deutsche Athlet, dem es gelungen war, die in seiner Disziplin magische Höhe von sechs Metern zu bewältigen.
Erfolgreicher in der Halle
Am 24. August 1997 überquerte Lobinger beim ASV-Sportfest im ehemaligen Müngersdorfer Stadion in Köln erstmals diese Marke, knapp zwei Jahre später gelang es ihm auf der großen Bühne beim Golden-League-Meeting in Oslo erneut. Nach ihm schafften das nur Danny Ecker und der deutsche Rekordhalter Björn Otto, der im Jahr 2012 6,01 Meter überquerte.
Seinen Höhen-Höhepunkt erlebte Lobinger zwar im Freien, seine größten Erfolge jedoch in der Halle. 1998 wurde er in Valencia Europameister, fünf Jahre später in Birmingham Weltmeister. Bei Freiluft-Wettkämpfen reichte es immerhin zu EM-Silber (2006) und -Bronze (2002).
Olympische Enttäuschungen und Ärger für Po-Jubel
Dort erlebte Lobinger auch seine größten sportlichen Enttäuschungen. An vier Olympischen Spielen nahm der geborene Rheinbacher teil, sein bestes Ergebnis war lediglich ein siebter Platz 1996 in Atlanta. Vier Jahre später wurde Lobinger in Sydney nur 13., 2004 in Athen Elfter und 2008 scheiterte er in Peking sogar bereits in der Qualifikation.
Lobinger war aber nicht nur ein aufsehenerregender Sportler, sondern auch ein solcher Charakter. 2003 siegte er beim Weltfinale in Monaco, zog anschließend auf der Ehrenrunde seine Hose runter und präsentierte seinen blanken Hintern. Dafür gab es eine Geldstrafe und einen Rüffel des deutschen Leichtathletik-Verbandes. „So ein Verhalten ist nicht akzeptabel und überhaupt nicht lustig. Wir werden Tim deutlich machen, dass so etwas nicht toleriert werden kann“, sagte der damalige DLV-Präsident Clemens Prokop.
„Kritikfreudig, nicht angepasst, nicht ruhig“
Lobinger war jedoch kein Typ, der sich sein Verhalten diktieren ließ. „Ich habe so eine dicke Haut, ich vertrage so viel Kritik“, sagte er anschließend. Beim Weltverband entschuldigte er sich zwar auch für sein Verhalten, schoss aber auch zurück. „Die sollen sich mal um ihre eigenen Probleme kümmern und sich nicht hinter einem nackten Po verstecken“, sagte Lobinger. Passend dazu schrieb die „Bild“ einst über ihn: „Wenn ihm etwas nicht passt, wird aus Tim Lobinger schnell mal ein Tim ‚Tobinger‘.“
„Kritikfreudig, nicht angepasst, nicht ruhig“ – so beschrieb er sich selbst. „Ich arbeite gegen und für vieles, versuche zusammen mit anderen Stabhochspringern das Beste aus unserem Sport zu machen. Ich gehe nach wie vor das Risiko ein, für meine Haltung in der Öffentlichkeit Schelte einzustecken.“ Lobinger war auch Aushängeschild seines Sports, beherrschte das Handwerk der PR.
Fast über Nacht nach Leipzig
Umso schmerzhafter war es für den Stabhochsprung, als er 2012 überraschend die Reißleine zog. Ein lukratives Angebot, als Athletiktrainer der Fußballer von RB Leipzig (damals Viertligist) arbeiten zu können, überzeugte Lobinger vom Karriereende. Dabei hatte er seinen Sport geliebt. Die „Besiegung der Schwerkraft“ gebe ihm „ein tolles Gefühl“, sagte der Ex-Athlet, der im Alter von 14 Jahren sein erstes Wettkampfjahr als Stabhochspringer bestritt und dort eine Bestleistung von 3,46 Metern aufstellte.
Es sei ein „extrem unvorbereitetes Karriereende“ gewesen, gestand Lobinger. Er sagte alle geplanten Teilnahmen an Wettkämpfen ab und trat seinen neuen Job innerhalb von zehn Tagen an. „Ich bin von einem fahrenden Zug auf den nächsten fahrenden Zug gesprungen“, sagte er.
Vier Jahre blieb Lobinger in Leipzig, ging dann zurück in seine Wahlheimat nach München und machte sich dort als Personal Trainer selbstständig. Zu seinen Kunden gehörte unter anderem Joshua Kimmich. Doch nach recht kurzer Zeit fühlte er sich zunehmend schlapper, am 3. März 2017 erhielt er dann die Diagnose, die sein Leben komplett veränderte: Plasmazell-Leukämie.
Der Krebs kam, ging und kam leider wieder
„Es war ein Schock. Ich habe viel geweint. Komischerweise konnte ich nachts ganz gut schlafen. Am nächsten Tag bin ich aufgestanden, habe nochmal geweint, aber dann habe ich gesagt: Okay, ist jetzt so“, sagte Lobinger im „Stern“. Es folgten fünf Chemotherapien und eine Stammzellentransplantation bis Jahresende. „Ich könnte ausflippen vor Glück“, sagte er nach der Nachricht, dass ein passender Spender gefunden sei.
Ein Jahr später schien der Krebs dann unter anderem nach siebenmonatigem Klinikaufenthalt besiegt. „Wenn`s nach mir geht: Das Leben darf weitergehen“, freute sich Lobinger. Doch schon wenige Wochen danach kam die Ernüchterung, der Krebs kehrte in mutierter Form zurück. Lobinger aber versuchte, aus diesem Rückschlag das Beste zu machen, schrieb eine Art Krebstagebuch unter dem Titel „Verlieren ist keine Option. Mein Kampf gegen den Krebs“, das im April 2018 erschien.
Fia sorgt für einen glücklichen Lebensabschluss
Vier Jahre später hatte Lobinger die Hoffnung aufgegeben, in ein Leben als gesunder Mensch zurückzukehren. „Heilung wird es bei mir nicht mehr geben. Der Krebs ist zu aggressiv“, sagte er der „Bild“.
Kurz vor seinem Tod gab es für ihn aber noch eine wunderschöne Nachricht. Im Januar bekam seine Tochter Fee ihr erstes Kind names Fia, machte Lobinger so zum Opa. „Jung Opa zu werden, habe ich mir immer gewünscht“, sagte er dem Magazin „Bunte“. Leider hat er dieses Glück nicht allzu lange genießen können.